SCHWARZ UND WEISS IN FARBE

Ein Beitrag für das Buch zur von Evelyn Annuß kuratierten Ausstellung
"stagings – made in Namibia – postkoloniale Fotografie", 2009, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien.
Erschienen bei b_books, Berlin.


SCHWARZ UND WEISS IN FARBE*

Die Fotografien der Reihe Stagings zeigen hunderte von Namibierinnen und Namibiern – einzelne Personen, Paare, Schulklassen, Hochzeitsgesellschaften, Menschenmengen. Aber nur auf einem einzigen Bild (Windhoek 24a) sind Schwarze und Weiße gemeinsam, nebeneinander, in einer Gruppe zu sehen: Vier Jugendliche lächeln in Malaika Tjirimujes Kamera. Es ist das Bild von Freunden. Zwanzig Jahre, nachdem das Jahrhundert des staatlichen Rassismus mit der offiziellen Abschaffung der Apartheid in Namibia zu Ende ging, scheinen die Schnappschüsse und Alltagsfotografien immer noch getrennte Welten zu zeigen. Nur sehr gelegentlich verirrt sich ein Bewohner der einen ins Blickfeld oder auf das Foto der jeweils anderen Welt – so etwa der schwarze Mann hinter dem von Memory Biwa fotografierten weißen Paar (Windhoek 27). Insgesamt sind bloß auf einem halben Dutzend der hier versammelten Fotos sowohl Weiße als auch Schwarze zu erkennen.

Diese wenigen Bilder weisen jedoch eine weitere Gemeinsamkeit auf, die sie von den anderen Fotos der Reihe unterscheidet. Während nämlich die überwältigende Mehrheit der Fotografinnen und Fotografen den von ihnen Abgebildeten sehr viel Raum gibt und sie damit vollständig ins Bild setzt, schneidet Frida !Ama-||Ai Tsames Aufnahme (Ghobabis 27) eines auf dem Boden hockenden Mannes eine weitere Figur so ab, dass nur ein Teil des Kopfes und die Hände einer weißen Person zu erkennen sind. Es sieht so aus, als dränge sich der Mann (oder handelt es sich um eine Frau? – nicht einmal das ist eindeutig erkennbar) hier in ein Bild, auf dem er eigentlich gar nichts zu suchen hat. Auch der weiße Mann mit Bierglas auf Romanda Jobs Bild von zwei schwarzen Frauen in einer Kneipe (Windhoek 26a) scheint sich von links ins Bild zu schieben, als hätte die Fotografin ihn nicht ganz heraus halten können. Sein Oberkörper, an der Bildkante ohnehin halb abgeschnitten, ist fast ausgelöscht und rot überstrahlt durch Lichteinfall oder die Fehlbelichtung am Ende des Films. Die technischen und kompositorischen Besonderheiten dieser Aufnahmen nähren den Verdacht, dass die Weißen in den Bildern der Schwarzen und die Schwarzen in denen der Weißen meist ungewolltes Beiwerk, Fremdkörper, Eindringlinge sind.

Häufiger als Aufnahmen mit schwarzen und weißen Personen sind Fotos, auf denen neben dem oder der Porträtierten Abbildungen von weiteren Menschen zu sehen sind. Links neben der von Beotietjie Kavandje fotografierten schwarzen Frau (Windhoek 7a) hängt die Darstellung eines sehr weißen Jesus Christus am Kreuz. Das Gemälde rechts neben der Frau stellt eine Weiße dar, die den Betrachter so direkt anschaut, dass ihr Blick ebenso wichtig zu sein scheint wie der der eigentlichen Hauptperson in der Bildmitte.

Nicht ganz so groß, aber doch wie in einer Reihe mit der Porträtierten ist die Abbildung einer blonden Frau hinter dem Mädchen, das Myra Pieters vor einem Schmuckgeschäft fotografiert hat (Windhoek 16a). Auch auf Myra Pieters‘ Bild des Straßenmusikers Abraham Kambamo in der Windhoeker Poststreet Mall (Windhoek 0a) tauchen Fotos anderer, weißer, Menschen auf: und zwar auf dem afrikaanssprachigen Werbeplakat einer Plattenfirma. Die beiden von Ché Ulenga fotografierten Männer (Windhoek 13) halten das Foto einer halbnackten weißen Frau so ins Bild, dass sich ihre Augen genau im Zentrum der Aufnahme befinden, während die eigentlichen Protagonisten selbst an den Rand rücken. Porträtierte und Fotografin bemühen sich also gemeinsam, dem Betrachter dieses Abbild einer anderen Person zu zeigen. Reale schwarze beziehungsweise weiße Personen erscheinen auf den Fotos der jeweils „anderen“ nur zufällig, ihre Abbilder jedoch sind willkommenes Beiwerk und wichtiges Attribut.

Gleich auf zwei Fotos der Reihe Stagings posieren Menschen in Windhoek vor Statuen historischer Persönlichkeiten, die an die Zeit des Kolonialismus und der Apartheid beziehungsweise an den Kampf dagegen erinnern. Hinter der von Denise Khoitos fotografierten schwarzen Frau (Windhoek 5) steht einer der Gründer des kolonialen Windhoek, der Offizier der deutschen Schutztruppe Curt von François. Diese Aufnahme erzählt nicht zuletzt etwas über den gelassenen Umgang, den Namibia mit den Denkmälern seiner konfliktreichen Vergangenheit pflegt. Auch die Statuen der Unterdrücker stehen noch; und Schwarze lassen sich vor ihnen fotografieren. Das weiße Paar auf Almuth Schwartings Bild (Windhoek 29) wiederum stellt sich vor der Statue des Herero-Chiefs Hosea Kutako auf, dessen Kampf gegen Kolonialherrschaft und Apartheidregime Israel Kaunatjike in seinem Beitrag verhandelt.

Was hätte Hosea Kutako zu dem Versuch gesagt, jene Fotos, die Namibierinnen und Namibier von ihren Mitbürgern gemacht haben, in „weiße“ und „schwarze“ zu sortieren? Er hätte dieses Unterfangen wohl als Apartheid bezeichnet. Denn dass wir, die Betrachter dieser Aufnahmen im Jahre 2008, die Abgebildeten so schnell und eindeutig den Kategorien „weiß“ und „schwarz“ zuordnen, ist die Folge des rassistischen Denkens vergangener Jahrhunderte. Wer ist „weiß“, wer „schwarz“ auf Cesilie Benjamins Foto (Windhoek 23)? Wieso sehen wir die von Ndati Tshilunga und von Toscha Wimsa fotografierten weißen Hände (Windhoek 15 und Kavango 2) eigentlich als schwarz? Wer entscheidet das für die Frau auf Myra Pieters‘ im Souvenirshop aufgenommenem Foto (Windhoek 4a), und was genau macht die neben ihr stehende Himbafigur zum Abbild einer Schwarzen? Pombili Paulus‘ Foto dreier menschlicher Schatten (Arandis 11) lässt sich nicht in eine dieser Kategorien einordnen. So gesehen und so fotografiert sind alle Menschen gleich.

*(SCHWARZ UND WEISS IN FARBE ist der deutsche Titel von Jean-Jacques Annauds oscar-prämiertem Spielfilm Blanc et Noir en Couleurs, einer bitterbösen Anklage von Kolonialismus und Rassismus).